Basiswissen: Berufliche Beratung psychisch Kranker
„Es ist nicht zu übersehen, dass auch heute noch berufliche Beratung häufig zu spät oder gar nicht stattfindet.
Dieser traurigen Tatsache wollen Christiane Haerlin, Ergotherapeutin und Fachfrau für berufliche Beratung und Irmgard Plößl, Psychologin und Psychotherapeutin mit der 2. Auflage dieses Buches entgegenwirken.
50 Prozent aller Menschen mit chronischen psychischen Erkrankungen im erwerbsfähigen Alter gehen keiner Beschäftigung nach und 25 Prozent erhalten wenige bis gar keine beruflichen Wiedereingliederungsmaßnahmen – obwohl in der UN-Behindertenkonvention das gleiche Recht von Menschen mit Behinderungen auf Arbeit festgeschrieben ist.
Berufliche Beratung: wann, wo und wie?
Die Autorinnen plädieren besonders dafür, unabhängige berufliche (Früh-) Beratung anzubieten, denn „sie kann und muss überall dort stattfinden, wo die Klienten sind, sie ist nicht an einen bestimmten Ort oder eine bestimmte Maßnahme gebunden, sondern sollte überall stattfinden, wo sie benötigt wird.“ (S. 33)
Vorliegendes Buch informiert sehr ausführlich über die Gestaltung solcher Beratungsgespräche. Der/die LeserIn erfahren viel über das Beratungssetting, die Kompetenz und die Grundhaltung des Beraters und die Ziele der Beratung. Anhang von Formulierungsbeispielen bekommen die BeraterInnen sehr konkrete Beispiele für Vorgehensweisen zur Verfügung gestellt. Praktische Arbeitshilfen/-blätter sind als Download auch <link www.psychiatrie-verlag.de/fileadmin/storage/files/pv_book/688_Downloadmaterial_03.pdf _blank - "Arbeitshilfen Buch berufliche Beratung">online erhältlich</link>.
Bedeutung von wichtigen Bezugspersonen
Besonders erfreulich ist die Bedeutung, die von den Autorinnen den wichtigen Bezugspersonen der Erkrankten zugesprochen wird. „Die Erörterung der Wechselwirkung zwischen Arbeit, Familie, Gesundheit und Krankheit führt zu wichtigen Erkenntnissen bei den Beratenden und bei den Klienten.“ (S. 69)
Haerlin vertritt einen systemischen Ansatz, geprägt von Ressourcenorientierung und einer neugierigen, hoffnungsvollen Haltung gegenüber KlientInnen und Angehörigen auf Augenhöhe.
Individuelle Lösungen als Ziel der Beratung
Berufliche Beratung hat immer das Ziel, die individuell richtigen Lösungen für die erkrankte Person zu finden. Haerlin beschreibt das Beispiel eines Mannes, der sich nach Absolvierung eines beruflichen Trainingsprogrammes gegen einen beruflichen Wiedereinstieg entschieden hat und „nur“ eine ehrenamtliche Tätigkeit aufgenommen hat, wo er zu seiner Rente bescheiden dazuverdienen konnte. Später berichtete er davon, „dass die damalige Förderung den Spielraum gegeben habe, seine eigene Balance zwischen gesundheitlicher Belastungsfähigkeit und sinnerfüllter Tätigkeit zu finden.“ (S. 144)
Angehörige, besonders Eltern, sind daher gut beraten, ihre eigenen Erwartungshaltungen an die erkrankten Familienmitglieder kritisch zu hinterfragen, denn die Karrierewünsche für das eigene Kind müssen oft revidiert werden, um die wirklich passenden Lösungen zu finden.
„Jeder Mensch will notwendig sein“
Es ist sehr zu wünschen, dass dieses Büchlein eine Anregung für professionell Tätige ist, die enorme Bedeutung einer sinnvollen Tätigkeit für das Leben jedes Menschen in den Blick zu bekommen und in ihre Beratungs- und Betreuungstätigkeit einfließen zu lassen – denn, um einen Doyen der deutschen Sozialpsychiatrie, Prof. Klaus Dörner zu zitieren: „Jeder Mensch will notwendig sein.“
Für Sie rezensiert: Daniela Schreyer
Autorinnen: Christiane Haerlin, Irmgard Plößl
Verlag: Psychiatrie Verlag